Hilfe ist weiterhin nötig


Quelle: Höchster Kreisblatt - Jul 4, 2013

Nicht bloß im Fernsehen: Die Existenzangst der Menschen im Hochwassergebiet hautnah spüren

Was dem Bundespräsidenten Joachim Gauck das Bürgerfest im Park von Schloss Bellevue ist, das ist dem Landrat des Main-Taunus-Kreises, Michael Cyriax, der sommerliche Abend „Treffpunkt im MTK“ im Innenhof des Landratsamtes. In Berlin wie in Hofheim sollen die Bürger im Mittelpunkt stehen und besonders verdiente Bürger geehrt werden.

Hofheim. 

Es ist ein gesellschaftliches Ereignis, wenn Jahr für Jahr rund 600 Gäste der Einladung des Landrats folgen, und das schon zum fünften Mal. Am Dienstagabend kamen sie zusammen, von A wie Muhammad Munawar Abid von der Ahamadiyya Muslim Gemeinde Flörsheim bis Z wie Volker Zintel, dem ehemaligen Bürgermeister der Weinstadt Hochheim. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, führende Köpfe von Organisationen und Vereinen unterschreiben hier zwar keine Verträge, aber sie knüpfen Kontakte, tauschen sich aus, lernen sich von Angesicht zu Angesicht kennen - und wer weiß, was daraus werden kann.

Zu Beginn begrüßte Landrat Michael Cyriax, nachdem die Jagdhornbläser des Jagdklubs Main-Taunus aufgespielt hatten. Die Kulisse für die Eröffnung bildeten 130 ehrenamtliche Helfer, die bei der Flutkatastrophe im Osten Deutschlands im Einsatz waren. Ihnen dankte Cyriax und verband damit den Aufruf, weiterhin für die Menschen im Katastrophengebiet zu spenden.

Dann konnte man ins Gespräch kommen, mit bekannten Leuten wie dem ehemaligen Bundesforschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber, der eine rote Fliege spazieren trug, mit dem ehemaligen Landrat des MTK, Jochen Riebel, mit amtierenden Bürgermeistern, politischen Abgeordneten, Vereinsvertretern und eben auch ganz normalen Leuten.

Ins Gespräch kommen konnte man auch mit den Helfern der Flutkatastrophe. Ein solches Gespräch konnte der Danksagung von Michael Cyriax einen ganz anderen Hintergrund, eine Tiefe geben, durch die man erst zu ermessen vermag, was die Helfer von Deutschen Roten Kreuz, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk geleistet und erlebt haben. Zum Beispiel ein Gespräch mit Kai Mertsch, Truppführer des Deutschen Roten Kreuzes in Hattersheim. Er ist einer von denen, die sonntags um Mitternacht von der Zentralen Leitstelle den Aufruf zur Hilfeleistung bekamen. Vier Stunden später fuhren die Einsatzkräfte los. „Wir hatten knapp vier Stunden Zeit, alles einzupacken, was wir brauchten“, so Mertsch. 75 Feldbetten, Schlafsäcke, Decken, Kochstation, Zelte, Lichtanlagen und was noch alles für 250 Menschen, deren Zuhause unter Wasser standen. „Wir wussten ja nicht, was uns erwartet“, so Mertsch. Sie wussten nur, es geht nach Barby in Sachsen-Anhalt. Innerhalb dieses kurzen Zeitraums, um diese nachtschlafene Zeit an einem Sonntag galt es auch, mit den Arbeitgebern Kontakt aufzunehmen und sich grünes Licht für den Hilfseinsatz zu holen. Mertsch arbeitet zwar beim Deutschen Roten Kreuz in Wiesbaden, ist dort für das Hausnotrufsystem zuständig. „Aber trotzdem muss man klären, ob man fehlen kann“, so Mertsch. Er konnte fehlen, für eine ganze Woche. Insgesamt waren die MTK-Kräfte zwei Wochen in zwei Schichten im Einsatz.

„Alles verloren“

Zwei Stadtteile des Ortes waren komplett „abgesoffen“, schildert Mertsch. Die Bilder aus dem Fernsehen kenne man ja, aber es sei etwas ganz anderes, den Menschen in Not gegenüber zu sitzen, ihre Geschichte zu hören, ihre Existenzängste zu spüren. „Menschen, die alles verloren haben“, sagt Mertsch und erinnert sich an den Ausdruck der verzweifelten Gesichter dieser Leute. Menschen, die gerade in einer Neubausiedlung Fertighäuser gebaut haben, die sie abreißen müssen, wenn das Wasser dorthin kommt. 250 Menschen standen ohne Zuhause da. Alles überschwemmt. Die Anspannung sei allgegenwärtig gewesen, auch bei den Einsatzkräften. Die Deiche waren aufgeweicht. Das Grundwasser stieg, der Ort lief quasi von unten her voll. Die Einsatzkräfte wussten: Wenn der Deich bricht, dann haben wir vier Minuten Zeit, und dann ist unsere Unterkunft 1,50 Meter hoch voll gelaufen. „Aber da geht es erst einmal darum, den anderen zu helfen und nicht um einen selbst“. So dachte auch der Wehrführer der Feuerwehr Barby. „Dessen Haus war zwei Meter hoch vollgelaufen, aber er war am Feuerwehrhaus und half dort mit, die Wassermassen draußen zu halten“, ist Mertsch voller Bewunderung. Mertsch und seine Kollegen organisierten von Barby aus auch noch Unterstützung. „Unsere Mädels haben dann hier Hilfsmaterialien gesammelt“, so Mertsch. Dinge des täglichen Lebens wie Hygieneartikel, Toilettenpapier. Über Facebook gelang die Aktion. Die Hattersheimer schickten noch einen Wagen mit den Materialien nach Barby, und befreundete Feuerwehren nahmen auch noch etwas mit.

So umfasst der Dank Cyriax’ nicht nur die Leistung der 130 Helfer im Einsatz, die Tag und Nacht Wasser gepumpt haben und sich um die Menschen dort gekümmert habe, sondern auch deren Arbeitgeber und deren Familien. In den Medien spielt eine der größten Katastrophen Deutschlands schon fast keine Rolle mehr, im Bewusstsein der Festgäste des „Treffpunkts MTK“ verständlicherweise auch nicht. Die Menschen in den Überflutungsgebieten sind aber noch mittendrin in der Katastrophe. So bekräftigte Cyriax noch einmal die Bitte um Spenden. Und Kai Mertsch nickte. Die Menschen dort bräuchten nach wie vor Hilfe.

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