Der freiwilligen Feuerwehr fehlen die Kräfte


Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung - Mai 13, 2008

Von Heike Lattka

Freiwillige Blauröcke sind bei Unfällen und anderen Unglücken vielerorts unentbehrlich - aber auch dünn gesät

13. Mai 2008 - In Bad Soden erhält seit einem Jahr jeder Neubürger Post aus dem Rathaus: Ob in der Familie ein freiwilliger Feuerwehrmann sei oder einer der Adressaten dies vielleicht werden wolle, wird dort von Bürgermeister Norbert Altenkamp (CDU) in wohlgesetzten Worten nachgefragt. Und wenn dann von den 2000 Menschen, die jährlich neu in die Kurstadt ziehen, sich tatsächlich zwei oder drei gestandene Brandschützer melden, ist der Rathauschef schon hocherfreut. Denn Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren sind allerorten begehrt: Sie werden immer seltener. Und gerade im Ballungsraum sei es dadurch immer schwerer, die sogenannte Tagesalarmbereitschaft durch die freiwilligen Brandschützer sicherzustellen, berichtet der für den Brandschutz zuständige Dezernent im Main-Taunus-Kreis, der Erste Kreisbeigeordnete Hans-Jürgen Hielscher (FDP). Die Mobilität der Menschen sei sehr ausgeprägt. Sie arbeiteten oft tagsüber zu weit entfernt von ihrem Heimatort, um für den freiwilligen Feuerwehrdienst überhaupt in Frage zu kommen.

Innerhalb von zehn Minuten sollen die freiwilligen Wehren im Brandfall am Einsatzort sein. Alarmrufe müssten heute auf größere Gebiete verteilt werden, um die Besatzung der notwendigen Löschzüge zu bekommen, sagt Andreas Koppe, Sachgebietsleiter im Amt für Brandschutz und Rettungswesen im Main-Taunus-Kreis. Oft würde das Drei- bis Fünffache an Einheiten alarmiert, um die notwendige Einsatzzahl zu erreichen.

0,68 Prozent der Kreisbevölkerung sind Blauröcke

Das Problem lässt sich anhand der Statistik nachvollziehen: 1539 aktive Feuerwehrleute gab es Ende 2007 im Main-Taunus-Kreis – dies entspricht etwa 0,68 Prozent der Kreisbevölkerung. Noch vor 28 Jahren waren etwa 0,81 Prozent der Bevölkerung im aktiven Feuerwehrdienst tätig. Und die Mitgliederzahl bei der Jungfeuerwehr nahm in den vergangenen acht Jahren von 714 auf nunmehr 606 Jungen und Mädchen ab. Die Tendenz sei weiter sinkend, weiß Koppe. Es gehe seit 15 Jahren stets bergab, ergänzt Kreisbrandinspektor Joachim Dreier. Lob spendet er für die Hochheimer freiwilligen Wehren: Dort gebe es eine sehr gute Truppe – aber eben auch sehr starke bürgerliche Strukturen. Ohne nachbarschaftliche Löschhilfe komme tagsüber kaum eine zweite Kommune aus. Dies aber könne auf Dauer nicht gutgehen, warnt er. Langfristig müssten wohl die freiwilligen Wehren durch hauptamtliche Feuerwehrleute ergänzt werden.

In Bad Homburg ist dies längst der Fall. Seit acht Jahren sicherten dort 20 hauptamtliche Feuerwehrleute die Tagesalarmbereitschaft, berichtet der Leiter der Feuerwehren, Daniel Guischard. Dies sei erforderlich geworden, obwohl bei Einstellung in den öffentlichen Dienst Bewerber bevorzugt worden seien, die auch in der Feuerwehr aktiv seien. Wenn von den freiwilligen Brandschützern 70 alarmiert würden, erschienen nach seiner Erfahrung jedoch bestenfalls 25.

Berufsfeuerwehren kämen die Kommunen aber teuer zu stehen: Das Fünf- bis Siebenfache müssten die Städte und Gemeinden für den Aufbau einer Berufsfeuerwehr ausgeben, schätzt Koppe. Rezepte sind deshalb gefragt: Brandschutzdezernent Hielscher hat einen Arbeitskreis aus den Bürgermeistern aller Städte und Gemeinden einberufen. Konzepte sollen im Herbst vorgelegt werden. „Es wird nicht gehen, ohne dass wir Geld in die Hand nehmen\", sagt er.

Anreize zum Eintritt in die Feuerwehr

In Bad Homburg hat man diese Vorarbeiten schon geleistet. Die Belohnung reicht von vergünstigten Eintritten ins Seedammbad und endet bei Empfängen und Auszeichnungen für die Helfer im Rathaus. In Hofheim überlegen die Parlamentarier derzeit sogar, ob die Auslobung einer Ehrenrente für die Brandschützer ein probates Mittel gegen den Mitgliederschwund seien könnte. Und im Hochtaunuskreis haben die politisch Verantwortlichen schon zu ganz neuen Fortbildungsmöglichkeiten gegriffen, um den freiwilligen Feuerwehrdienst auch für junge Menschen attraktiv zu machen. Man biete nicht nur kostenfreie Fitnesskurse, sondern auch Seminare zur Weiterbildung in Rhetorik und Rechnungswesen als Anreiz für den Feuerwehrdienst an, erläutert Friedrichsdorfs Erster Stadtrat Norbert Fischer (CDU), der gleichzeitig Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes Hochtaunus und stellvertretender Vorsitzender des Nassauischen Feuerwehrverbandes ist. Mit der Änderung des Feuerwehrgesetzes versuchten die Wehren zudem, Kinder von sechs Jahren an für die Mitarbeit zu begeistern.

Auf die Umwerbung des weiblichen Geschlechts für den Einsatz in Löschzügen setzt Landrat Alfred Jakoubek (SPD) im Landkreis Darmstadt-Dieburg mit Erfolg. Mit der Werbekampagne sei der Stamm der freiwilligen Feuerwehren in drei Jahren um 80 Mitglieder gewachsen. Jakoubek, der auch Präsident des Hessischen Landkreistages ist, fordert die Kommunen auf, endlich aufzuwachen und sich jetzt ein gutes Fundament für die Zukunft zu schaffen. „Es wäre sträflich, zu denken, das wird schon irgendwie\\\", mahnt er.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa


Kommentar

Annerkennung ist Trumpf
Von Heike Lattka

13. Mai 2008 Vieles im Leben wird für allzu selbstverständlich angenommen. Wer einmal die eigenen Hilflosigkeit bei einem Wohnungsbrand oder Unfall mit eingeklemmten Menschen erlebt hat, der weiß, welche Erleichterung sich mit den ersten Hornsignalen der Feuerwehr einstellt. Oft sind es nicht hauptamtliche Kräfte, die Unbekannten Hab und Gut, Leib und Leben retten. Es sind Menschen, die sofort an ihrem Schreibtisch alles stehen und liegen lassen und sogar oft nachts schlaftrunken aus dem Bett springen, wenn dies ein Einsatz von ihnen verlangt. Die bis in Ortsteile und Dörfer hinein gut organisierten freiwilligen Feuerwehren rücken bei Alarm aus und helfen Menschen in Not. Und dieser Dienst ist alles andere als selbstverständlich.

Dieses Ehrenamt kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Doch es wird aufgrund von Mitgliederschwund für die Wehren immer schwerer, die Tagesalarmbereitschaft von zehn Minuten sicherzustellen. Gegen diese Entwicklung sollten besonders von Städten und Gemeinden, in deren Verantwortung die freiwilligen Feuerwehren stehen, offensiv vorgegangen werden. Doch ist dies immer der Fall? Wie gut man dort aufgestellt ist, hängt oft ab vom guten Willen und der Einsicht der politisch Verantwortlichen ab. Dieses Bewusstsein sei nicht überall gleich gut ausgeprägt, sagen Fachleute. Dabei gebührt für die Kommunen kaum eine zweite Aufgabe in den nächsten Jahrzehnten stärkerer Aufmerksamkeit: Wer heute schläft und nicht zur Modernisierung seiner freiwilligen Wehren beiträgt, wird morgen zu den Verlierern zählen. Wenn der freiwilligen Feuerwehr – bedingt durch demographischen Wandel, mangelnden Anreiz als Alternative zum Wehrdienst und weite Strecken zwischen Arbeitsplatz und Einsatzort – noch mehr Wehrleute wegfallen, dann drohen bald große Engpässe.

Wer glaubt, allein mit vergünstigtem Freibadeintritt junge Menschen für diesen gefährlichen Ehrendienst begeistert zu können, wird wohl nicht erfolgreich sein. Früh müssen Kinder für die Feuerwehr und ihre lebenswichtige Aufgabe interessiert werden. Und in der Gesellschaft gehört dieser Dienst am Nächsten unter täglichem Einsatz des eigenen Lebens ohne Vergütung noch stärker in den Mitteilpunkt gerückt. Denn kaum etwas mobilisiert Menschen stärker als gesellschaftliche Anerkennung. Vorurteilen gilt es entgegenzuwirken: Freiwillige Feuerwehren sind keine verstaubten Vereine, sie sind ein Rettungsverband von hohem Wert: Gäbe es die Helfer in Rot nicht, müssten wie in den Großstädten Berufsfeuerwehren die Alarmsicherheit sichern, bekämen die Kommunen eine Rechnung präsentiert, die sie in Cent und Euro teuer zu stehen käme.

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